Katastrophenschutz: aufgezogen und ausgesetzt?

Mai 2007, Köln

In der Rubrik "Fremde Federn" der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kritisiert der geschäftsführende Präsident des Malteser Hilfsdienstes e.V., Johannes Freiherr Heeremann, die Pläne der Bundesregierung, die Finanzierung des Katastrophenschutzes um 70% kürzen zu wollen. Neben der Gefährdung der allgemeinen Sicherheit sieht er das bürgerschaftliche Engagement der  80.000 Ehrenamtlichen im Katastrophenschutz bedroht.

Katastrophenschutz: aufgezogen und ausgesetzt? 

Seit dem Ende des Kalten Krieges ist die Gefahr eines militärischen Konflikts auf deutschem Gebiet geringer geworden. Neue ?asymmetrische? Gefahren, wie zum Beispiel Kofferbomber oder Selbstmordattentäter, bedrohen unsere Sicherheit. Genauso wie Naturkatastrophen, deren Gefährdungspotential immer deutlicher wird. Verantwortliche Politiker des Bundes und der Länder wissen, dass der Katastrophenschutz dieser veränderten, eigentlich alltäglichen Gefahrenlage gerecht werden muss. So gut das bisherige System unter Beteiligung von Bund, Ländern und Hilfsorganisationen auch funktioniert hat, Reformen sind dringend nötig. Das gegenwärtige Nachdenken in Berlin über Reformen droht jedoch in die falsche Richtung zu gehen.

Der Bund will die veränderte Gefahrenlage nutzen, um sein bisheriges Engagement für den Katastrophenschutz drastisch zu vermindern. Dabei greift er auf das Grundgesetz zurück, nach dem die Länder für die Sicherung der Gefahrenabwehr ?im Alltag? zuständig sind. Die Vorteile für den Bund liegen auf der Hand: Während der Etat des Bundes für den Katastrophenschutz im Jahre 2007 33 Millionen Euro beträgt, würde der Haushaltsansatz nach der geplanten Neuorganisation schon 2008 auf nur noch zehn Millionen sinken. Der Bund sieht also eine Einsparmöglichkeit von 70 Prozent. Nur: Ohne die bisherige Unterstützung des Bundes gäbe es in Deutschland keinen wirksamen Katastrophenschutz. Der Bund hat durch sein bisheriges Engagement Vertrauen geschaffen und ist damit in eine Garantenstellung gelangt, die er nicht einfach kündigen kann. Das ist, als hätte jemand jahrelang ein Findelkind aufgezogen und es dann eines Tages mit dem Argument, er sei nicht der Vater, ausgesetzt.

Was würde mit dem ausgesetzten Katastrophenschutz geschehen? Er würde den Unterhaltsverlust nicht verkraften, denn nur wenige Länder haben ausreichend finanzielle Möglichkeiten, um den massiven Rückzug des Bundes auszugleichen. Heute bringen die Länder lediglich 10 bis 20 Prozent eigene Mittel für den Katastrophenschutz auf. Ohne weitere Unterstützung des Bundes wäre das Schicksal des Findelkindes besiegelt: Not, Elend, Hungertod.

Das wäre ein unverantwortliches Verhalten des Bundes. Der Bund zerschlägt auf diese Weise wesentliche Bestandteile der heutigen Katastrophenschutzarchitektur und reißt in die über Jahrzehnte hinweg aufgebaute Gefahrenabwehr eine unvertretbare Schutzlücke. Der Bevölkerung diesen Schutz zu versagen und auf die grundgesetzliche Verantwortung der Bundesländer zu verweisen ist sicherheitspolitisch nicht zu vertreten und dem Bürger gegenüber schlichtweg zynisch.

Auch wird der Bund unglaubwürdig, denn einerseits fordert er bürgerschaftliches Engagement, andererseits stellt er durch seinen Rückzug das ehrenamtliche Engagement zahlreicher Helferinnen und Helfer zur Disposition, die bisher in dem aus Bundesmitteln finanzierten Katastrophenschutz tätig sind. Dies bedeutet: Von 80 000 Ehrenamtlichen auf diesen Gebieten bleiben noch 30 000 übrig, denen statt 9400 Fahrzeugen gerade noch 2500 zur Verfügung stehen.

Dabei benötigt unsere Bevölkerung zur Aufrechterhaltung des notwendigen Schutzes dringend ehrenamtlichen Einsatz und Einsatzbereitschaft. Und entspricht die Beteiligung des Bürgers nicht auch dem Bild eines modernen Staates, in dem die Mitglieder der Gesellschaft möglichst viel Freiraum für eigene Verantwortung finden? Sollte man nicht stärker dieser Zukunft zugewandt überlegen und entscheiden?

Die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland zeigt deutlich: Unsere Gesellschaft braucht in immer größerem Maße das freiwillige Engagement ihrer Bürger. Nicht nur im Katastrophenschutz, auch bei der alltäglichen Pflege und Betreuung älterer Menschen. Eine Neuorganisation des Katastrophenschutzes, wie sie der Bund bislang plant, wäre ein verheerendes und zutiefst schädliches Signal, engagierte Bürger, die sich gut ausgebildet für das Gemeinwesen einsetzen, nach Hause zu schicken.

Eine unserer Zeit gemäße, der Bedrohungslage angemessene, noch wirksamere Aufstellung des Katastrophenschutzes, eine Neuorganisation des Bevölkerungsschutzes, die mehr Sicherheit für jeden in Deutschland garantiert, kann nur vom Bund und den Ländern gemeinsam entworfen und beschlossen werden ? mit Sachverstand, politischem Verantwortungsbewusstsein und Entschlossenheit bei allen finanziellen und organisatorischen Fragen. Ein Rückzug des Bundes wäre unverantwortlich. Die Hilfsorganisationen sind bereit, jedes fachlich und finanziell geschlossene Gesamtkonzept mitzutragen und mit ihren ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern zu verwirklichen.

(Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11.05.2007, Seite 14)

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